Wandgemälde "Gottesgericht""Gottesgericht" Darstellung aus der Zeit des Nibelungenliedes des Königs Gundikar um 435

 

Zur altehrwürdigen Gerichtsstätte, die dem Kriegsgott Tiu geweiht ist, unter dessen besonderem Schutze das Ding steht, ist das Volk hinausgewandert. In feierlicher Weise eröffnet der König, der oberste Gerichtsleiter, das Ding. Er trifft die heilige Hegung, die Umzäunung, innerhalb deren der heilige Friede herrscht. Er besteigt den verwetterten, alten, eichenen Richterstuhl, schlägt mit entblößtem Schwert gegen die mächtigen Pfosten und verkündet mit weithin tönender Stimme: "Ban unde Frid!", ein Zeichen, dass keiner die nun folgende heilige Handlung auch nur mit einem Laut stören dürfe. Ja, selbst ein Räuspern, Husten oder das Wegstreifen einer Mücke wurde mit schwerer Strafe belegt. So standen die Versammelten, der "Umstand" genannt, in feierlichem Schweigen hinter der Verhagung, deren Durchbrechung mit der schauderlichen Strafe der Acht belegt wurde.

Aller Augen folgen gespannt den kräftigen Kämpen, zwei Edlen, die nunmehr den Dingfrieden betreten. Es gilt heute, ihre Streitsache, ihr Recht, nach altgermanischer Sitte mit der Waffe in der Hand in gerichtlichem Zweikampfe zu verfechten. Denn das Kampfordal war bei den kampfesfrohen Germanen das vornehmste Gottesurteil. Sie lebten den Glauben: "Die Schuld weiß niemand als Gott, der entscheide sie auch zu Recht!" und "Wo man die Wahrheit mit Recht nicht finden kann, muss man sie enden mit Gottesurteil!"

Einige Zeit tobt nun der Zweikampf unentschieden hin und her und laut fallen die Schwertstreiche auf die schützenden Schilde. Da, einen günstigen Augenblick ausnutzend, holt der Eine zum schweren Schlage mit Anspannung all‘ seiner Kräfte aus und trifft mit wuchtigem, sicherem Hieb seinen Gegner an die linke Halsseite. Der schützende Helm wird abgeschlagen, der Getroffene sinkt zu Boden. Auch mit schwächer werdender Hand hält er noch seine Waffen umspannt, um sich, noch auf der Erde liegend, gegen seinen glücklicheren Gegner zu wehren. Weiß er doch, dass dieser nach altem Recht so lange auf ihn einhauen darf, bis seine Gliedmaßen zerfetzt sind, sein Körper zerstückelt ist. Schon will der Siegende auf den am Boden Liegenden mit erneuter Wut und Kraft eindringen, da erhebt der König seine Linke zum Zeichen, dass der Kampf beendet, der Gerechtigkeit Genüge geschehen sei: dass Gott gerichtet habe.

In höchster Spannung, aber in unheimlich lautloser Stille, ohne durch Ausrufe oder auffallende Gebärden ihre Empfindungen zu zeigen, wie es strenge geboten war, folgen die Umstehenden dem gerichtlichen Zweikampfe mit seinem blutigen Ausgang. Die Augen aller suchen den Besiegten und heften sich auf den von Gott Gerichteten