Wandgemälde "Gerichtstag""Gerichtssitzung" unter Kaiser Maximilian I.; erste Mitwirkung von Berufsrichtern bei schriftlichem Verfahren (um 1495)

 

Eine neue Zeit war angebrochen. Die Landeshoheit erstarkte, sie wurde nachhaltiger ausgebildet und gefestigt, ein zeitgemäßes Reichsgericht wurde eingesetzt – es musste daher die Kraft der Wirksamkeit der Femgerichte und der alten Schöffengerichte und der Schimmer ihrer Würde und ihres Ansehens immer mehr und mehr schwinden. Durch die Entdeckung Amerikas und des Seewegs nach Ostindien wuchs der Handel, der Geldverkehr steigerte sich – die wirtschaftlichen Verhältnisse erlebten einen ungewöhnlich großen Umschwung. Diesen veränderten Verhältnissen waren die alten Gerichte nicht mehr gewachsen, die Schöffenweisheit fing an zu versiegen und zu versagen.

Schon lange vor dem Regierungsantritt Kaiser Maximilians I. war der Ruf der berühmten italienischen Rechtsschulen, vor allem der Universität Bologna nach Deutschland gedrungen. Auch die deutsche Jugend wanderte in Scharen dorthin, um das römische Recht kennen zu lernen. In ihr Vaterland zurückgekehrt, zogen die Fürsten und Städte diese Doctores utriusque juris in ihre Dienste. So vollzog sich nach und nach gegenüber dem Zersetzungsprozess des Schöffentums die Bildung des eigentlichen Juristenstandes, wohl die größte Umwälzung im deutschen Rechtsleben.

Als Kaiser Max 1495 das Reichsgericht gründete, verordnete er, dass die Hälfte der Beisitzer Doktoren sein sollte.

Unsere Darstellung gibt uns Kaiser Max auf einem Gerichtsgang durch das Land (ubi imperator, ibi curia), zu seiner Rechten die Laienrichter, die Schöffen, zu seiner Linken seine höfischen Richter, die als Urteiler und Berater den König stets begleiteten. In seiner Rechten hält der Kaiser den weißen Stab, das Zeichen der Gerichtsbarkeit, der an seinem oberen Ende eine Schleife trägt. Vor Beendigung der Sitzung durfte der Stab nicht niedergelegt werden, er wurde an dieser Schleife aufgehangen, wenn die Sitzung aus diesem oder jenem Grunde unterbrochen wurde.

So zeigt uns unser Bild auf der einen Seite das Ende des alten ungelehrten mündlichen Prozessverfahrens, es zeigt uns auf der anderen Seite die erste Mitwirkung des gelehrten Richtertums, den Berufsrichter, und den Einzug der Akten in das Rechtsleben. Es bildet so unser Bild die Überleitung zur Jetztzeit, zur Entwicklung des gelehrten Richterstandes in deutschen Territorien, "einem der wunderbarsten Akte, die je im Geistesleben eines Volkes sich vollzogen haben".