26.02.2025
Der 1. Kartellsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf hat heute (26. Februar 2025) unter Leitung der Richterin am Oberlandesgericht Alexandra Poling-Fleuß mit zwei Beschlüssen zugunsten eines weltweit tätigen Softwareunternehmens aus den USA und seines deutschen Tochterunternehmens (Beschwerdeführerinnen) entschieden und zwei vom Bundeskartellamt im März 2024 erlassene Kostenbeschlüsse aufgehoben.
Ohne vorherige Anmeldung bei dem Bundeskartellamt hatte die US-amerikanische Muttergesellschaft 2018 zwei Unternehmen (Zielunternehmen) erworben, die Software für den E-Commerce-Bereich bzw. zur Automatisierung des B2B-Marketings herstellten und seit rund zehn Jahren weltweit, auch in Deutschland, vertrieben. Nachdem das Bundeskartellamt Kenntnis vom Erwerb erlangt hatte, leitete es ein sog. Entflechtungsverfahren ein und stellte dieses nach erfolgter Prüfung einer Untersagung des (bereits vollzogenen) Zusammenschlusses der Unternehmen wenig später wieder ein. Gleichwohl sollten die Beschwerdeführerinnen die Kosten des Kartellverwaltungsverfahrens tragen.
Der 1. Kartellsenat hat heute entschieden, dass das Bundeskartellamt beiden Unternehmen keine Gebühren hätte auferlegen dürfen, da die Voraussetzungen für eine Zusammenschlusskontrolle nicht vorgelegen hätten und der Erwerb der Unternehmen daher in Deutschland nicht anmeldepflichtig gewesen sei. Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Kriterien der subsidiären Aufgreifschwelle des § 35 Abs. 1a GWB in der damals geltenden Fassung der 9. GWB-Novelle 2017 ("Transaktionswertschwelle") seien nicht erfüllt gewesen, denn entgegen der Ansicht des Bundeskartellamts hätten keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür bestanden, dass die in Deutschland erzielten Umsätze der beiden Zielunternehmen deren Marktposition und Wettbewerbspotential hierzulande nicht zutreffend reflektierten. Da die Zielunternehmen die jeweilige Software im Zeitpunkt des Unternehmenserwerbs bereits seit rund zehn Jahren entgeltlich im Markt (auch in Deutschland) vertrieben, sei vom Vorliegen eines "reifen Marktes" auszugehen, in dem es in erster Linie auf die erzielten Umsätze ankomme.
Es sei daher davon auszugehen, dass die zweite Inlandsumsatzschwelle zum Umsatz des Zielunternehmens in Deutschland (§ 35 Abs. 1 Nr. 2 2. Alt GWB a.F.), die im Streitfall nicht überschritten worden ist, die Marktposition und das Wettbewerbspotential hinreichend widergespiegelt. Auch im Übrigen könne in beiden Verfahren jeweils nicht festgestellt werden, dass die betroffenen Zielunternehmen in erheblichem Umfang im Inland tätig gewesen seien. Die Tätigkeit der Zielunternehmen in Deutschland habe u.a. unter Berücksichtigung ihrer Firmenpräsenz in Deutschland, der Anzahl ihrer jeweiligen Mitarbeiter und Kunden im Inland sowie der hierzulande erzielten Umsätze nicht den Grad erreicht, um von einer Inlandstätigkeit in erheblichem Umfang ausgehen zu können.
Das Bundeskartellamt hätte das Entflechtungsverfahren daher mangels Vorliegen der Voraussetzungen nicht einleiten, jedenfalls aber nach dessen Einstellung den Beschwerdeführerinnen keine Verfahrensgebühren auferlegen dürfen, weil diese bei richtiger Sachbehandlung nicht entstanden wären.
Die Beschlüsse sind noch nicht rechtskräftig. Der Senat hat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen. Hiergegen ist die Nichtzulassungsbeschwerde gegeben.
Aktenzeichen: VI Kart 2/24 [V] und VI Kart 3/24 [V]
Infobox:
§ 35 GWB (in der Fassung vom 09.06.2017) Geltungsbereich der Zusammenschlusskontrolle
(1) Die Vorschriften über die Zusammenschlusskontrolle finden Anwendung, wenn im letzten Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss
1. die beteiligten Unternehmen insgesamt weltweit Umsatzerlöse von mehr als 500 Millionen Euro und
2. im Inland mindestens ein beteiligtes Unternehmen Umsatzerlöse von mehr als 25 Millionen Euro und ein anderes beteiligtes Unternehmen Umsatzerlöse von mehr als 5 Millionen Euro erzielt haben.
(1a) Die Vorschriften über die Zusammenschlusskontrolle finden auch Anwendung, wenn
1. die Voraussetzungen des Absatzes 1 Nummer 1 erfüllt sind,
2. im Inland im letzten Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss
a) ein beteiligtes Unternehmen Umsatzerlöse von mehr als 25 Millionen Euro erzielt hat und
b) weder das zu erwerbende Unternehmen noch ein anderes beteiligtes Unternehmen Umsatzerlöse von jeweils mehr als 5 Millionen Euro erzielt haben,
3. der Wert der Gegenleistung für den Zusammenschluss mehr als 400 Millionen Euro beträgt und
4. das zu erwerbende Unternehmen nach Nummer 2 in erheblichem Umfang im Inland tätig ist.
(2) Absatz 1 gilt nicht, soweit sich ein Unternehmen, das nicht im Sinne des § 36 Absatz 2 abhängig ist und im letzten Geschäftsjahr weltweit Umsatzerlöse von weniger als 10 Millionen Euro erzielt hat, mit einem anderen Unternehmen zusammenschließt. Absatz 1 gilt auch nicht für Zusammenschlüsse durch die Zusammenlegung öffentlicher Einrichtungen und Betriebe, die mit einer kommunalen Gebietsreform einhergehen. Die Absätze 1 und 1a gelten nicht, wenn alle am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen
1. Mitglied einer kreditwirtschaftlichen Verbundgruppe im Sinne des § 8b Absatz 4 Satz 8 des Körperschaftsteuergesetzes sind,
2. im Wesentlichen für die Unternehmen der kreditwirtschaftlichen Verbundgruppe, deren Mitglied sie sind, Dienstleistungen erbringen und
3. bei der Tätigkeit nach Nummer 2 keine eigenen vertraglichen Endkundenbeziehungen unterhalten.
Satz 3 gilt nicht für Zusammenschlüsse von Zentralbanken und Girozentralen im Sinne des § 21 Absatz 2 Nummer 2 des Kreditwesengesetzes.
(3) Die Vorschriften dieses Gesetzes finden keine Anwendung, soweit die Europäische Kommission nach der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen in ihrer jeweils geltenden Fassung ausschließlich zuständig ist.
Christina Klein Reesink
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